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ganz auf mich konzentrieren und viel sinnieren. Ich denke aber, dass auch Pilgern in der Gruppe seinen Reiz hat. Man kann sich gegenseitig stützen, Impulse von anderen wahrnehmen und sich austauschen, ge- meinsam singen und beten. Dennoch sollte jeder aus- reichend Zeit für sich haben – deshalb gibt es, wenn ich Gruppen führe, täglich auch „Schweigephasen“. Durch den Bayerischen Wald führen mehrere Pilger- wege. Einer davon ist der Gunthersteig – Was ist das Besondere an diesem Weg? Der Gunthersteig ist ein Pilgerweg auf den Spuren des Rodungsmönchs St. Gunther. Der heutige Pilger- weg führt vom Kloster Niederalteich an der Donau durch den Bayerischen Wald über die Grenze bis zum böhmischen Ort Blatná. St. Gunther zog im 11. Jahrhundert tief in den „Nordwald“, der damals noch unbesiedelt war. Im heutigen Rinchnach begann er mit seiner Rodungstätigkeit. Deshalb ist das Markierungs- zeichen des Gunthersteigs auch eine Hacke. Ich bin den Gunthersteig selbst mehrere Male bis Dobrá Voda gegangen und habe ihn immer als etwas ganz Beson- deres erlebt. Es ist ein Weg auf historischen Pfaden. Der bekannteste Pilgerweg ist vermutlich der Jakobs- weg – Worin unterscheidet er sich zum Gunthersteig? Das Wort Pilgern stammt ursprünglich vom lateini- schen „peregrinus“ und bedeutet so viel wie „Fremde/r in der Fremde“. Der Jakobsweg verkörpert mit seinem internationalen Charakter die klassische Bedeutung. Menschen unterschiedlicher Nationen treffen auf- einander und beschreiten trotz aller Unterschiede den gleichen Weg zu dem einen Ziel. Im Gegensatz dazu ist der Gunthersteig ein ruhiger Pilgerweg direkt vor unserer Haustüre, der durch ursprüngliche Waldwild- nis in Natur- und Nationalpark führt. Beim Pilgern auf dem Gunthersteig habe ich meine Heimat noch einmal aus einem ganz neuen Blickwinkel kennen und schät- zen gelernt. Haben Sie ein persönliches Highlight am Gunthersteig? Von der Donauebene, durch den Bayerischen Wald und Nationalpark bis in den Böhmerwald – der Gun- thersteig hat viele schöne Wegstrecken und Ausblicke. Zum Beispiel den Guntherstein bei Lalling oder die Wallfahrtskirche Frauenbrünnl, wo Gunther als Ein- siedler lebte. Aber für mich ist es immer wieder etwas ganz Besonderes, die Grenze nach Böhmen zu über- schreiten, die viele Jahre durch den „Eisernen Vor- hang“ versperrt war. Es ist ein Gefühl der Freiheit. Liebe Frau Grömer, Sie sind „Pilger-Expertin“ und seit mehreren Jahren als Pilgerwegbegleiterin unterwegs. Wie sind Sie zum Pilgern gekommen? F rüher war ich in meiner Freizeit viel beim Radfahren und Wandern unterwegs. Zum Pilgern bin ich eher zufällig gekommen. Bis 2004 habe ich im Bistum Passau die Pastorale Entwicklung geleitet und später auch an der Landvolkshochschule in- tensiv am Interreg-Projekt VIA NOVA mitgearbeitet. In dieser Zeit sind viele neue Pilgerwege entstanden und wir haben die Notwendigkeit gesehen, Pilgerweg- begleiter auszubilden. In diesem Prozess bin „i selbst gehad worn“ (aktiv geworden) und habe Gefallen am Pilgern gefunden. Gibt es Ihrer Meinung nach einen Unterschied zwischen Wandern und Pilgern? Pilgern ist für mich mehr, als nur zu gehen. Es ist ver- bunden mit einer inneren Haltung voller Offenheit für die Dinge, die mir am Weg und in mir selber begeg- nen. Beim Wandern möchte man in der Regel Natur und Landschaft genießen, während beim Pilgern die Einstellung eine ganz bedeutende Rolle spielt. Beim Pilgern geht es darum, sich bewusst Zeit zu nehmen, um zur Ruhe zu kommen, zu entschleunigen und das eigene Leben zu reflektieren. Für mich hat Pilgern vor allem eine religiöse Bedeutung. Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen und meine Kindheit war durchaus religiös geprägt. Dabei habe ich den Glauben immer als leicht, unverkrampft und bereichernd emp- funden. Diese Haltung mit Verbundenheit von Natur und Religiosität empfinde ich beim Pilgern. Pilgern wird oft mit „Selbstfindung“ in Verbindung ge- bracht. Muss man dafür immer alleine unterwegs sein? Viele Pilger sind auf der Suche nach sich selbst und sind deshalb alleine unterwegs. Wenn ich alleine pilgere, kann ich mich treiben lassen, mich voll und Helga Grömer Dipl. Religionspädagogin, Pilgerwegbegleiterin, Supervisorin Pilgern auf den Spuren von St. Gunther Ein Interview mit Pilgerwegbegleiterin Helga Grömer WOHL gefühl ARBERLAND 55 54 WOHL gefühl ARBERLAND

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